Pflege heißt für mich: „Mache vom Leben Gebrauch, solange es geht!“

Burkhard Nierhaus, Pflegefachkraft / Diakonie Münster

Burkhard Nierhaus öffnet mir die Tür und sofort wird mir klar: Hier wird gelebt. Die Sonne durchflutet die Räume. Wir sitzen an einem mit Kaffee und Kuchen gedeckten, schönen Wohnzimmertisch, und doch wirkt es durch die großen Fenster, als würden wir direkt im Grünen sitzen. Ich schaue auf den wunderbar großen Garten und das selbsterrichtete Baumhaus. Überall erinnern Spielsachen und interessante Gegenstände daran, dass hier Kinder wohnen und sich wohl fühlen. Das Klavier, die vielen Musikinstrumente und die Kunst an den Wänden erzählen von meinem Gesprächspartner ebenso wie die Literatur im Bücherregal.

Am Ende unseres langen Gesprächs wird er sagen: „Pflege heißt für mich: Mache vom Leben Gebrauch, solange es geht!“ Diese Aussage zieht sich wie ein roter Faden durch unser Gespräch. Schon mein erster Eindruck von diesem Mann deckt sich mit dieser Definition und seinen vielen Erfahrungen, die ich mich beeindruckt haben. Der Einstieg in seine Biografie verblüfft mich: „Ich bin nicht für die Pflege geboren, bin dafür nicht begabt, kurz gesagt, ich kann kein Blut sehen.“ Ich muss etwas verwundert dreingeschaut haben, denn fährt er fort: „In der Pflege geht es nur im Team. Meine Kolleg*innen stehen mir immer zur Seite und ich übernehme für sie nun den bürokratischen Teil der Arbeit. Mein Vater war zwar Krankenpfleger, aber ich wollte eigentlich etwas ganz anderes. Ich sehnte mich nach einem anderen Leben, Lehrer wollte ich werden. Mein Vater aber nahm mich in der 11. Klasse von der Schule und schickte mich in die Krankenpflege. Dann kam mit 17 die Krebsdiagnose und ich wusste nicht mehr, ob ich noch leben wollte. Ich stand auf der Brücke und hatte Suizidgedanken. Erst nach der zweiten Großoperation nahm meine Gesundung Fahrt auf. Der Kontakt zu den Eltern wurde im Laufe der Zeit immer distanzierter und brach schließlich ganz ab. Das selbstgewählte Jurastudium beendete ich vor dem ersten Staatsexamen. Erst mit der eigenen Familiengründung erwachte der Kontakt zu den Eltern wieder. Es war gut, dass ich mich nach den ganzen Hindernissen schließlich doch für diesen wunderbaren Beruf entschieden habe. Die Erfahrung gebraucht zu werden, und dass ich den Menschen in der Pflege dieses Gefühl auch vermitteln konnte, machte mich stark. Jetzt konnte ich sogar das Angebot annehmen, die Wohnbereichsleitung zu übernehmen.

Ich hatte in keiner Weise eine behütete Kindheit. Es ging früh darum, Geld zu verdienen. Schöngeistige Werte oder Bildung in ihrer ganzen Breite, all das war unwichtig. Was ich damals vermisste, konnte ich jedoch nun umsetzen. Ich erfuhr mit großem Glück, dass ich vielen Menschen das Gefühl von Geborgenheit, menschlicher Wärme, Vertrauen und auch körperlicher Nähe schenken durfte. Menschen nahe zu sein und gleichzeitig Distanz zu achten, das ist eine tägliche Herausforderung in unserem Beruf. Ich habe gelernt demütig zu sein und strukturelle Vorgaben nicht wichtiger zu nehmen als die Freiheit und den Willen der zu pflegenden Menschen. Gerade in der palliativen Pflege lernte ich konsequentes Zuhören, einfach anwesend zu sein und zu bleiben, wenn es wichtig ist. Die Entscheidung, ob das Bett jetzt gemacht werden muss, treffe nicht ich oder die Hausregeln, sondern der Mensch, für den wir da sind. Meine frühe Freude an Musik, Kunst und Literatur konnte ich nun beruflich zweifach nutzen. Nach den oftmals harten, aber zugleich schönen Anstrengungen eines Tages war es so leichter möglich den Akku wieder zu füllen. Es entstand so eine Stärkung durch genau jene Dinge, die mir in der Kind- und Jugendzeit verwehrt wurden. Und die Musik half mir ganz direkt, indem ich zur Geburtstagsfeier auf der Station die Ukulele mitnahm.

Jeder erfährt in diesem Beruf, wie gefährdet der Mensch ist, wie schnell das Leben am seidenen Faden hängen kann, und wie leicht die bedrückenden Situationen die eigene Psyche erreichen können. Das Leben ist dennoch schön und hält täglich neue beglückende Momente bereit; diese zu ermöglichen und mit den Menschen zu leben, das ist die große Aufgabe in der Pflege. Aus diesem Grund rufe ich allen zu, die sich für diesen Beruf interessieren: Helft mit, den Menschen zu ermöglichen, solange vom Leben Gebrauch zu machen, wie es eben geht, damit das Dunkle keine Oberhand gewinnen kann. Es wird euch ebenso erfüllen und stark machen, so wie es auch mich gestärkt hat!“

Text: Norbert Nientiedt
Fotos: Uwe Jesiorkowski

 

 

 

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