Ein starker Typ, der „Krankenbruder“ aus Usbekistan

Bei echtem Schietwetter bin ich mit Hasan Musaev im Café verabredet. Er kommt pünktlich, direkt von seiner der Frühschicht von 06:30 Uhr bis 15 Uhr auf der psychiatrischen Station bei den Alexianern in Amelsbüren. Hasan wirkt vor dem Hintergrund seiner Geschichte, seinen Erfahrungen, Wünsche und Ansichten auf mich sehr authentisch.

Hasan Musaev (30), in der Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger.

Vor sieben Jahren kam er aus Usbekistan nach Deutschland und hatte es schwer in seinen ersten zwei Jahren in Jena. Wie so viele Migranten erlebte er Diskriminierung und die Ressentiments seiner Mitmenschen. Die negativen und frustrierenden Erfahrungen in Thüringen verarbeitete er bei guter Musik auf dem Laufband. Trotz anfänglicher Sprachprobleme gelang es ihm sich durchzubeißen und schon bald half er über ein Mentorenprogramm anderen ebenfalls erfolgreich zu sein. Sein Deutsch ist mittlerweile hervorragend und seine bevorzugte Lektüre sind die russischen Klassiker von Tolstoi über Tschechow bis Dostojewski.

Als gläubiger Moslem wurde er von seinen Eltern geprägt, die eine der Fünf Säulen des Islam immer ganz besonders im Blick hatten. Bei dieser gilt es über Fasten, Almosen und durch soziale Teilnahme Gutes zu tun, ohne dabei auf Dank zu schielen. Khasan Musaev erklärt es mir so: „Wenn du 500 Euro in der Tasche hast, dann handle so, als ob es nur fünf wären, damit du den Menschen auf Augenhöhe begegnen und denen helfen kannst, die weniger haben.“

Eigentlich wollte er BWL studieren, hat aber gegen die Vorstellungen der Eltern doch in den Pflegeberuf gefunden. In Usbekistan gibt es nicht nur Krankenschwestern, sondern auch Krankenbrüder und das wollte er künftig machen „Das ist mein Ding!“, erklärt er mir. Aber warum kein BWL, sondern die Pflege? Ich bohre hartnäckig nach, bis Hasan Musaev von einer lang zurückliegenden Erfahrung des damals 12-jährigen berichtet, von seinem Schlüsselerlebnis. Noch heute schmerzt es ihn, dass er seine geliebte Großmutter nur kurz erleben durfte. Das Bild der Oma, die immer nur Schmerzen hatte und die viel zu früh zu Hause sterben musste, verfolgt ihn. „Bei besserer medizinischer Betreuung und fachlicher Pflege wäre es anders gelaufen“, ist er sich sicher. „Herr Nientiedt, es ist doch toll, wenn die Pfleger*innen in der Notaufnahme sofort fachlich richtig handeln und so Leben retten, bevor die Ärzte den Patienten überhaupt zu Gesicht bekommen. Einfach, weil sie das Richtige tun können und dafür ausgebildet wurden.“ Hasan strahlt, während er das sagt. und ich antworte: „Ja, Sie werden sicher einmal ein sehr guter Krankenbruder werden.“
Er verblüfft mich, indem er betont: „In Usbekistan sind die Krankenbrüder etwas privilegierter, sie haben die besseren Stellen im OP und auf den Stationen. Die Krankenschwestern dagegen müssen mit den einfachen Aufgaben vorliebnehmen. Ich finde es besser, dass es in Deutschland demnächst nur noch Pflegefachfrauen und -männer gibt. Diese Unterschiede sind dann endlich weg.“

Ich nicke und frage ihn nach einer kurzen Gesprächspause: „Sind Sie für ihre Hilfsbereitschaft und Empathie auch schon einmal belohnt worden?“ Hasan Musaev zögert nicht lange und mit deutlichem Stolz erzählt er: „An dem Tag, an dem ich mein Probeexamen geschafft habe, war ich zuvor auf der Palliativstation. Ich saß lange am Bett von Frau Müller, der ich so gerne zuhöre; dann nahm sie meine Hand und schaute mich an: ,Herr Musaev, danke dafür, dass Sie sich meine ollen Kamellen immer wieder so gebannt anhören, als ob ich sie zum ersten Mal erzählen würde. Dabei kennen Sie die doch schon alle.‘ Frau Müller holt tief Luft und flüstert: ,Sie werden einmal, nein, Sie sind ein guter Pfleger!‘“

Ich aber nicke schon wieder und denke: Und ein starker Typ!

Text: Norbert Nientiedt
Fotos: Uwe Jesiorkowski

 

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