Sein „Aufstieg“ aus der Modebranche in die Pflege

Frank Holtkamp (50), Pflegeassistent

Schon früh hatte Frank Holtkamp ein Faible für schöne Dinge. Nach der dreijährigen Ausbildung arbeitete er mehrere Jahre in Borken als Einzelhandelskaufmann in der Modebranche. Anschließend zog es ihn zu einem noblen Bekleidungsgeschäft am Münsteraner Prinzipalmarkt. Aber mit 50 Jahren beginnt er noch einmal ganz von vorne, in einem diametral anderen Beruf. Was ist da passiert? War es für ihn ein Abstieg oder doch ein Aufstieg? Ich bin total neugierig auf meinen heutigen Gast am gelben Tischchen vor der Penatenvilla. Überaus freundlich und gut angezogen steht er pünktlich am Gartentörchen.
Der Mann hat Manieren, einen guten Geschmack für Kleidung und wirkt auf mich sehr sympathisch; also gute Voraussetzungen, um in der Modebranche erfolgreich zu sein. Warum er schließlich Pflegeassistent geworden ist, das wird im Laufe unseres angenehmen Gesprächs deutlich.

Ein Schlüsselerlebnis gibt einen ersten Hinweis: Frank Holtkamp träumte von einem gestylten Mann, der täglich mit einem modischen Koffer sein Haus verlässt und am Abend dort wieder ankommt. Dazwischen dreht sich alles um Hüllen, um Äußeres, nie um den Kern der Menschen. Es wird ihm immer klarer, dass er sich aber eigentlich genau für das interessiert, was einen Menschen wirklich ausmacht. Er outet sich mit seinem Wunsch zunächst nur vor seinen besten Freunden. Viele langjährige Bekannte aus der Branche dagegen schütteln mit dem Kopf und sind sich sofort einig: Frank Holtkamp wird einen Abstieg erleben! Das gesellschaftliche Ansehen, die finanziell sehr gute Ausstattung und die vielen Annehmlichkeiten freiwillig gegen ein Leben einzutauschen, in dem man häufig unangenehme Tätigkeiten ausüben muss – das ist den meisten unverständlich. Pflegende tragen üblicherweise Einheitskleidung und müssen häufig schlechte Gerüche ertragen.

Entgegen diesen Befürchtungen schwärmt Frank Holtkamp mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck von seinem neuen Beruf: „Ich wurde im Team wunderbar aufgenommen, die Zusammenarbeit ist erheblich angenehmer. Niemand bedient sich seiner Ellenbogen, gegenseitige Wertschätzung und Respekt sind selbstverständlich. Am Ende des Tages geht es nicht um den zählbaren Gewinn, sondern um die Freude, gemeinsam Menschen bei ihrer Genesung geholfen zu haben.“ Er erläutert das an einem Beispiel aus seinem alten beruflichen Leben. „Im Beisein meines früheren Chefs erklärte ich Herrn B., dass das mit seiner gewünschten neuen Hose heute wohl nichts mehr werden würde. Diese hätten wir nicht im Sortiment, würden sie aber natürlich besorgen können. Dieser Kunde erzählte unserem Chef später einmal, dass er auch deswegen zum Stammkunden geworden sei, weil er hier ehrlich behandelt werde. In der Pflege achten wir ganz bewusst nicht auf die Äußerlichkeiten eines Menschen, sondern auf seinen Kern. Ehrlichkeit ist da unverzichtbar. Als mein bester Freund, der ebenfalls in der Pflege arbeitet, einmal erschöpft von der Arbeit kam und sagte ,Heute habe ich wieder einmal einen Menschen tot gepflegt!‘, da wurde mir klar, dass ich gefordert war. In den Wochen zuvor hatte er mir immer erzählt wie er liebevoll den Patienten in seinem Sterbeprozess begleitet hatte; nun brauchte mein Freund selbst Hilfe.
Ich spüre jetzt, in meinem neuen Beruf, dass ich als Mensch gefordert bin; es geht eben nicht mehr nur um das richtige Hemd, es geht um mehr und damit fühle ich mich jetzt auch als ganzer Mensch, nicht mehr nur als Modefachmann gefordert, das macht zufrieden!“
„Woher nehmen Sie Ihre Motivation für die Tätigkeit?“, will ich wissen. „Ich laufe in der Gruppe und schwimme regelmäßig.“ Jetzt macht er eine kleine Pause und schaut in unseren kleinen Garten, bevor er ergänzt: „So wie es hier viele schöne Dinge zu entdecken gibt, möchte auch ich in meiner Freizeit kreativ sein. Ich liebe es, aus scheinbar wertlosen Gegenständen Schönes zu gestalten.“ „So ganz hat Sie der ehemalige Beruf also doch nicht losgelassen“, werfe ich ein. Die Antwort kommt sofort: „Stimmt, aber ich habe jetzt einen ganz anderen Schwerpunkt und bin zufriedener. Ich erzählte Ihnen eben von meinem Traum mit dem ,Koffermann‘, aber da gab es noch ein weiteres Erlebnis.“ Ich bin sehr gespannt und er fährt fort: „Wie an jedem Morgen springe ich um fünf Uhr aus dem Bett und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Da schießt urplötzlich ein Gedanke durch meinen Kopf: Ich kann einfach so aufstehen, aber da, wo ich jetzt hinfahre, da wartet ein Mensch darauf, dass ich das tue, ansonsten kommt er nicht aus dem Bett. Diesen Sinn in meiner Arbeit habe ich früher so nicht erfahren.“ Frank Holtkamp setzt sich gerade und ich spüre, er will so etwas wie ein Fazit ziehen: „In meinem neuen Beruf, in der Pflege mache ich erheblich mehr Umsatz als früher und die Rendite ist höher, nur eben in einer völlig anderen ,Währung‘. Der Wechsel war eindeutig ein Aufstieg, kein Abstieg!“

Text: Norbert Nientiedt
Fotos: Uwe Jesiorkowski

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